Einleitung
Manchmal ist es komisch im Leben. Aus einem Gerücht wird eine Information, aus Information eine Bewegung, aus einer Bewegung ein Sieg ohne Kämpfen zu müssen. Diese kleinen Wunder sollte man aufschreiben und sich bewahren; für schlechte Zeiten, die am Horizont zu erahnen sind.
Ich schreibe hier auf, was in gut zwei Tagen bewegt werden kann, wenn man will. Nicht um zu prahlen, sondern um Mut zu machen, es als Anleitung zu sehen, die eigenen Wohnviertel, Städte und Parlamente gegen die Widerwärtigkeit des Rechtsextremismus zu verteidigen. Und weil diese Geschichte zeigt, dass die progressive Zivilgesellschaft – verkörpert auch durch engagierte Akteure wie Die Linke – in der Lage und Willens ist, selbst mit einfachsten Mitteln Erfolge zu erzielen. Es ist diese Fähigkeit zum schnellen, unbürokratischen Handeln, die uns in solchen Momenten stark macht.
Gerüchte soll man ernst nehmen, wenn sie dementiert werden.
Jules Renard (1864 – 1910), französischer Roman- und Tagebuchautor
Warum Gerüchte wichtig sind
„Sven chilla von der afd hat den mehrzeckraum der mehrzweckhalle in mastbrook für diesen Freitag ab 17 uhr für 80 Leute gemietet. Gibt’s da Infos zu?“ [SIC] So stand es am Mittwoch Nachmittag in einer Messenger-Gruppe.
Ahnungslosigkeit machte sich zunächst im Chat offenbar. Gehört hatte niemand etwas. Aber: Erinnerungen waren da an eine Anfrage von uns im Januar, da wir überlegt hatten (damals noch ohne eigene Geschäftsstelle), in der Mehrzweckhalle eine kleine Veranstaltung für die vielen neuen Mitglieder zu machen, die unsere Partei dankenswerterweise verstärkt haben.
Aber unsere Anfrage wurde abgelehnt mit Verweis darauf, dass dort keine Parteiveranstaltungen zulässig seien, „da die Räumlichkeiten für die Bevölkerung Mastbrooks vorzuhalten sind“. Nun wohnt der oben genannte Herr zwar unbestreitbar in Mastbrook; gleichwohl tut das auch Samuel, jener Genosse, der damals die Anfrage an die Stadt gerichtet hatte. Wo ist also nun der Unterschied? Muss man Rechtsextrem sein, damit man Platz in einem öffentlichen Gebäude hat?
Warum Menschenkenntnis wichtig ist
Ich entschied also, da einmal nachzuforschen und ein paar Telefonate zu machen. Für die interessierte Öffentlichkeit zur Klarheit: Niemand hat mir eine Auskunft geben können oder wollen. Weder die Frage nach einer Veranstaltung der AfD in der Mehrzweckhalle, noch angesprochen auf die erhebliche Diskrepanz dazwischen, unsere Anfrage abzulehnen und dann diesen Personen die Räumlichkeiten bereitzustellen war erfolgreich.
Wohlgemerkt: das ist auch gut so. Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass ihre privaten Angelegenheiten vom Staat – also auch von der Kommune – geschützt werden. Aber diese Reaktion und der gesamte Habitus waren auch klares Indiz dafür, dass an der Sache mehr dran ist als ein Gerücht in einem Messenger. Und hier ging es auch mitnichten um eine „private Angelegenheit“.
Was hätte ich also machen können? Offiziell im Rathaus anfragen? Am Donnerstag-Nachmittag? Dann hätte ich auch gleich Grußkarten an die Nazis verschicken und Ihnen viel Spaß bei Ihrer Veranstaltung am Freitag in Rendsburg wünschen können. Ich wusste, um hier etwas zu erreichen, braucht es mehr Druck. Und leider muss die sogenannte Rathausspitze nur noch öffentlichen Druck fürchten. Also gab ich eine Presseinformation heraus machte noch ein paar Telefonate…
Warum Presse wichtig ist
Dankenswerterweise hat die „Vierte Gewalt“ hier Bemerkenswertes erreicht. Unser Verdacht und der Verweis darauf, dass man es anderen Parteien untersagt, dort zu tagen – es jedoch in diesem besonders schweren Fall zugelassen wird – hat zur Recherche der SHZ in diesem Fall beigetragen.
Hier geht es zu dem entsprechenden Artikel: >> KLICK <<
Sie fanden heraus, dass die Verwaltung „einen Raum an einen Bürger aus Mastbrook vermietet“ hatte. Und sie zitieren die Bürgermeisterin mit: „Das ist blöd gelaufen aus unserer Sicht.“. Auch wird jedoch seitens der Stadt gesagt, man jetzt ja schwierig einen Rückzieher machen könne; schließlich habe man eine Zusage gegeben. Man versuche jetzt zu klären, um welche Art der Veranstaltung es sich handeln sollte.
Ich bin mittlerweile – und ich fremdele mit dieser Selbstbezeichnung – auch Politiker. Manchmal habe ich mich schon geärgert, wenn man aus fünf Minuten Gespräch nur einen oder keinen Satz „durchbekommt“ – und das dann vielleicht auch noch der ist, den man im Nachhinein am wenigsten hätte sehen mögen. Aber das ist egal. Hier hat sich einmal mehr gezeigt: Presse wirkt! Und wir brauchen dringend eine aktive Presse, die da nachhakt, wo es wehtut. Danke!
Warum Lügen kurze Beine haben
Zur etwa gleichen Zeit erreichte uns die nächste Nachricht über Parteikanäle. Nicht nur haben wir am Mittwochabend Kenntnis von der Veranstaltung erlangt. Die offene Jugendarbeit und der eigentlich am Freitag in der Halle trainierende Sportverein hatten schon am Montag die „Ansage“ bekommen, dass die Mehrzweckhalle am Freitag nicht genutzt werden könne. Da stellt sich doch schon die Frage: Wenn die Verwaltung am Donnerstag vorgibt, nicht zu wissen, um was es sich für eine Veranstaltung handelt, warum werden dann Jungendarbeit und Sportvereine „rausgeworfen“? Wenn „die Räumlichkeiten für die Bevölkerung Mastbrooks vorzuhalten sind“ passt das nicht wirklich ins Bild?
Und darüber hinaus: auch für Jugendarbeit und Sportverein wird es ja eine Mietvereinbarung geben? Von dieser zurückzutreten – wenn auch nur temporär – entscheidet doch keine Sachbearbeitung, oder?
Ist hier vielleicht seitens der Verantwortlichen darauf gesetzt worden, dass es schon niemand mitbekommt und keine Fragen gestellt werden?
Die Angabe, dass die Rathausspitze am Donnerstag noch klären musste, um was für eine Veranstaltung es sich handelt, ist wahrscheinlich ebenso wacklig wie die Argumentation, dass eine Veranstaltung mit 80 Personen unter dem Titel „Vorstandswahl“ eine rein private Veranstaltung ist…
In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit beweisen.
Karl Marx (1818 – 1883), deutscher Philosoph und Ökonom
Senatssitzung – besser spät als nie
Ironischerweise tagte am gleichen Tag der Senat der Stadt Rendsburg – quasi: der Haupt- und Finanzausschuss – ab 18:00 Uhr. Ob es nun deswegen war, dass wir ab circa 16:00 Uhr diversen Wegen unseren Verdacht gestreut hatten, oder aufgrund des Artikels, den die SHZ um 17:29 Uhr herausgab, sei mir gleich: Es hatte die gewählten Ausschussmitglieder auf den Plan gerufen, sich mit der Causa „Mehrzweckhalle Mastbrook“ zu befassen.
Da keiner unserer Genoss*innen im Senat sitzt – dazu später mehr – verlasse ich mich hier auf das Hörensagen; aber es muss wohl interessant gewesen sein. Neutral ausgedrückt: es hatten wohl verschiedene Personen verschiedene Auffassungen davon, was die Wahrheit ist, was Redlichkeit ist und ob man besser bei der Anmietung eines Raumes der Eigentümerin die volle Wahrheit sagt. Der Rest ist Geschichte.
Im Ergebnis steht jedoch: der Senat hat per Beschluss die Verwaltung aufgefordert, die Durchführung der Veranstaltung in diesem Räumlichkeiten zu untersagen. Aus welchen persönlichen Gründen dass jeder und jede dort getan hat: eine gute Entscheidung.
Verwaltungshandeln – von außen beobachtet
Es blieb nun aber ja spannend. Die Verwaltung – vertreten von der Bürgermeisterin – kann den Senatsbeschluss eigentlich nicht ignorieren. Gleichwohl hatten sie ja selbst noch verlautbaren lassen, dass man nur „schwierig einen Rückzieher“ machen könne. Ganz zu schweigen davon, dass der zeitliche Ablauf – wie ich oben schilderte – nicht wirklich dafür spricht, dass da auch intrinsische Motivation war.
Aber man hat sich wohl gut Zeit gelassen damit, hier zu handeln. Schnell gehandelt hatte indes die Kreisverwaltung, die in vorbildlicher Art und Weise die Anmeldung einer Demonstration an der Mehrzweckhalle bestätigte. Wenn die Stadt es nicht rechtzeitig schaffen würde, die Veranstaltung zu untersagen oder aber sich die Nutzenden vor dem Verwaltungsgericht erfolgreich reinklagen würden, wären sie dort zumindest nicht ohne Empfangskommittee.
Schließlich trudelte gegen Mittag dann die Information ein, dass dem „Privatmann“ eine schriftliche Mitteilung darüber zugstellt wurde, dass er die Räumlichkeiten nicht nutzen dürfe. Aber er, der „Privatmann“ könnte ja immernoch im Eilverfahren klagen – und er sollte es auch tun.
Demonstration – aus dem Zentrum des Geschehens
Da waren wir also – mit als allererste auf dem Platz. Aber nicht nur wir. Die Landespolizei hatte im wahrsten Sinne des Wortes „aufgefahren“. 45 Polizeibeamt*innen (ich glaube hier einmal der Zählung der KN, ich selbst habe nicht gezählt) mit knapp einem Dutzend Fahrzeugen hatten schon an der Mehrzweckhalle auf uns gewartet – in Vollkörperschutz und teilweise mit behelmt.
„Wir sind immer für eine Überraschung gut“, scherzte der einer der Beamten auf meine Frage hin im Gespräch, dass wir als Anmeldende (ich hatte die Demonstration zusammen mit einem Mitglied der Rendsburger Grünen angemeldet) mit ihnen führen konnten. Wer hier vor wem geschützt werden sollte und ob die „Omas gegen Rechts“ mit Weihnachtsplätzchen bewaffnet waren, verbarg sich im Trüben. Es blieb indes die ganze Versammlung hindurch wie erwartet ruhig und friedlich.
Der Platz füllte sich schließlich. Aus einer kleinen Box lief wechselweise die vom Adenauer SRP bekannte Hymne „Scheiß AfD“ und eine bunte Mischung als Soundtrack, die gut zu einer Demo in einer Mittelstadt passt, die sich den Nazis entgegen stellt. Dennis (der „Rendsburger Grüne“) und ich sprachen mit den erschienenen Vertretern von SHZ und KN – und alle warteten wir gemeinsam auf das Ergebnis aus dem Verwaltungsgericht in Schleswig.

Verterter*innen der Grünen, der Partei Die Partei, der Omas gegen Rechts und meine Genoss*innen fanden sich dort ebenso ein wie ein paar Kinder und Jugendliche, die ohnehin auf dem Schulhof geblieben waren, der an die Mehrzweckhalle grenzt. Nur von der Braunen Suppe ließ sich weiterhin niemand blicken. Wir nutzten die Zeit um Vernetzen, für ein Gruppenfoto, zum Fahnenschwingen – eher Fest als handfeste Demonstration.
Bis schließlich gegen Viertel vor 5 dann beide Pressevertreter gleichzeitig interessiert telefonierten. Und dann auch für uns die „Entwarnung“: das Verwaltungsgericht Schleswig hatte den Eilantrag auf Nutzung der Räumlichkeiten abgewiesen. Glück. Freude. Erleichterung.
Niemand von uns würde hier heute noch weiter in der Kälte stehen. Keiner der Bekannten, Freund*innen und Genoss*innen ist dem Risiko ausgesetzt, bei einer Provokation durch einen rechten Mob und deren gerüchteweise mitgebrachter „Security“ Opfer von Gewalt zu werden. Niemand in diesem Viertel muss heute Abend Angst haben, auf dem Nachhauseweg von besoffenen Spinnern angepöbelt oder verfolgt zu werden.
Wir sollten uns heute um schöne Dinge kümmern können.
Man kann wissen, wie man siegt, ohne fähig zu sein, es zu tun.
Sunzi (um 544 – 496 v. Chr.), chinesischer General, Militärstratege und Philosoph,
Über das Scheitern
Vor allem natürlich über das Scheitern der AfD muss und darf man sich freuen. Die KN hat das Scheitern in aller Breite in einem Artikel erklärt: >> KLICK <<
In aller Kürze und ohne Paywall: Das Verwaltungsgericht hat nicht etwa entschieden, dass die Veranstaltung nicht stattfinden dürfe; sie haben den Eilantrag aufgrund formaler Fehler abgewiesen. Denn nicht der „Privatmann“ (s.o.) hatte Klage eingereicht, sondern die „Partei“ – und die hatte ja gar keinen Mietvertrag und war somit auch nicht klageberechtigt.
Daraus können wir lernen: Nazis machen Fehler, wie andere Menschen auch. Das ist aber wenig beruhigend, denn wenn man auch über manche illustre Gestalt schmunzeln kann, sind andere leider weniger possierlich und sehr viel gefährlicher. Und: Wir hatten eine Menge Glück, dass sie diesen Fehler gemacht haben; eine inhaltliche Prüfung wäre u.U. nicht so glimpflich ausgegangen.
Über das Gewinnen
Unser „Sieg“ an diesem Abend kann man – auch wenn viel Glück im Spiel war – ebenso etwas lernen.
Gerüchte sind unglaublich wertvoll, aber sie müssen aus der eigenen Echokammer raus. Es braucht Arbeit, Beharrlichkeit, Kooperation und (ein bisschen) unorthodoxes Handeln, um sie zu Informationen zu machen und daraus Bewegung zu machen.
Harte Arbeit ist wichtig, aber man muss auch den Mut haben zu entscheiden und im richtigen Moment die richtigen Entscheidungen treffen. Beispiele dafür sind die Presseinformation bei unklarer Lage oder die Entscheidung, zur Demo zu mobilisieren, zu einem Zeitpunkt, an dem man nicht wissen konnte, ob die Veranstaltung wirklich untersagt wird und/oder das Verwaltungsgericht angerufen wird.
Zu guter letzt: Risiken eingehen ist wichtig. Aber genauso wichtig ist es, niemals das eigene Risiko zum Risiko der anderen zu machen. Jede Nachricht, die wir in die Kanäle gegeben haben hat deutlich gemacht, was wir wissen – und was nicht. Niemand soll aus Flensburg, Schleswig oder Kiel anreisen, um dann hier anzukommen, um nur noch das Rücklicht der Demonstration zu sehen.
Das sollte man berücksichtigen.
Über die Lehren, die zu ziehen sind
Aus meiner Sicht können alle aus den letzten drei Tagen etwas lernen. Wir als Partei können lernen, dass wir für die Menschen ansprechbar sein dürfen, damit wir die Informationen bekommen die nötig sind, um kleine Skandale wie diese aufzudecken.
An dieser Stelle muss klar gesagt werden: Nicht die Raumvergabe selbst ist ein Skandal. Fehler sind menschlich, Fehler sind normal. Es ist Aufgabe einer von oben vorzulebenden Fehlerkultur, damit konstruktiv und respektvoll umzugehen. Ein Skandal ist, wie organisatorisch versucht wurde, damit umzugehen; am Montag noch Jugendclub und Sportverein auszuladen, mutmaßlich zu hoffen, dass niemand Notiz davon nimmt, was da passiert und am Donnerstag öffentlich zu bekunden, man wisse nichts darüber…
Als progressives Lager insgesamt können wir lernen, welches Tempo und welche Organisationsfähigkeit wir haben müssen, um diesen Leuten etwas entgegensetzen zu können. Hier waren wir in diesem Falle gut vernetzt und sehr schnell.
Die Gesellschaft hat an einem Paradebeispiel gesehen, was Linke Politik erreichen kann. Wie eingangs gesagt: „mit einfachsten Mitteln Erfolge erzielen“. Ein Handy und ein Notebook, mehr hat es nicht gebraucht. Und natürlich die richtigen Menschen zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort, die sich engagieren.
Nicht auszudenken was möglich wäre, wenn wir das nicht nur mit Handy und Notebook, sondern in Fraktionen, in Kreishäusern und Rathäusern, tun dürften.