Nun sag’, wie hast du’s mit den Waffen?

Frei nach der Gretchenfrage aus Goethes Faust ein kurzer Blogeintrag aus aktuellem Anlass. Über persönliche Positionen, die Unterschiede zwischen Waffenlieferungen und -exporten sowie Realpolitik und einer politischen Vision.

Mama, was will der fremde Mann da im Internet?
oder: warum glaube ich, hierzu überhaupt etwas sagen zu müssen?

Anlass für diesen Beitrag ist eine Anfrage, die die Direktkandidierenden im Kreis Rendsburg-Eckernförde in einer Wahlkampf-Orga-Gruppe auf Telegram erreicht hat

Wie also damit umgehen? Vor allem, wenn bei der offenen Fragestellung die Position keine eindimensionale Antwort à la „kategorisch abzulehnen“ zulässt – zumindest nicht für mich. In einer Gruppe, die zur Organisation da ist, lässt sich das nicht klären; erst recht nicht erklären. Per Direktnachricht antworten? Die Frage steht aber (mehr oder weniger) coram publico im Raum.
Insofern kam mir die Idee, die Antwort in einen kurzen Blogeintrag zu schreiben. Öffentlich, transparent und auf Augenhöhe – so wie ich glaube, dass Meinungsbildung (insbesondere in einer Partei) sein sollte.

Hinweis: Da Schleswig-Holstein (als Land) selbst keine Waffen exportiert, betrachte ich im Folgenden einmal Waffenexporte (durch die Rüstungsindustrie, kontrolliert durch den Bund) und einmal Waffenlieferungen (direkt durch den Bund)

Waffenexporte
und warum ich dagegen bin

Hier könnte man es sich einfach machen und sagen: ich stehe zum Parteiprogramm. Dort steht unter dem Punkt „Abrüstung und strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“:

Statt Aufrüstung, militärischer Auslandseinsätze und EU-NATO-Partnerschaft, also einer Kriegslogik, ist eine Umkehr zu einer friedlichen Außen- und Sicherheitspolitik notwendig, die sich strikt an das in der UN-Charta fixierte Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen hält. DIE LINKE setzt daher auf Abrüstung und Rüstungskontrolle, fordert ein striktes Verbot von Rüstungsexporten und den Umbau der Streitkräfte auf der Basis strikter Defensivpotenziale. 

Parteiprogramm, Beschluss des Parteitags der Partei DIE LINKE vom 21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt

Abstrahiert davon ist es jedoch natürlich auch eine Frage moralischer Wertvorstellungen. Leitfrage ist es in diesem Fall, ob man an dem Leid anderer Menschen verdienen darf: Die Antwort ist nein.
Export ist laut Definition die Ausfuhr von Waren mit dem Ziel, diese zu Veräußern – ein Begriff der Wirtschaft. Die Rüstungsindustrie ist jedoch meiner Meinung nach kein „normaler“ Teil der Wirtschaft. Diese Haltung spiegelt sich auch in dem von mir überarbeiteten Teil des aktuellen Wahlprogrammes zur Landtagswahl

Ebenfalls sehen wir es kritisch, wenn die Rüstungsproduktion ohne weiteres als Bestandteil der Industrie betrachtet wird. Denn während exportierte Windkraftanlagen, Schiffe und Boote bei ihrer Verwendung am Zielort einen sinnvollen Zweck erfüllen, gilt dies für Rüstungsgüter an deren Bestimmungsorten nicht: Diese dienen ausschließlich der Abschreckung und dem Einsatz in bewaffneten Konflikten in der Welt, denen jährlich unmittelbar und mittelbar unzählige Unschuldige zum Opfer fallen.

Programm der Partei DIE LINKE zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2022

Waffenlieferungen
und warum es für mich hierzu keine generelle Antwort geben kann

Waffenlieferungen definieren sich für mich als Lieferungen eines Staates A an Staat B ohne Gewinnerzielungsabsicht. Synonym zu „Lieferung“ ist laut Duden z.B. „Aushändigung“ – wie ich finde ein entscheidender Unterschied und eine klare Abgrenzung zur im Parteiprogramm festgelegten „roten Linie“ hinsichtlich des Verkaufes (vgl. Export).

Es ist insbesondere wichtig, die Umstände einer solchen Lieferung genau zu beleuchten und im Einzelfall zu entscheiden. Hierbei sind meiner Meinung nach hohe Maßstäbe anzulegen – es ist jedoch moralisch nicht unmöglich, zur Auffassung zu gelangen, dass eine solche Lieferung angemessen ist. Die ursprüngliche Fragestellung zielte ja auf eine Situation ab, die „vor zwei Monaten noch kein Thema“ war – insofern wird diese auf den Putins Krieg gegen die Ukraine abzielen.
Dies ist für mich ein Fall, in dem ich Waffenlieferungen für angemessen halte. Natürlich sehe ich den Widerspruch: Waffenlieferungen verlängern den Krieg und das Leid der Menschen dort. Waffen töten – sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite. Nur was ist die Alternative? Kapitulation? Gregor Gysi äußerte hierzu – wie ich finde sehr treffend:

„Damit sprecht ihr der Ukraine faktisch ein Selbstverteidigungsrecht ab und seid indirekt dafür, dass sie nur die Chance zur bedingungslosen Kapitulation bekommt.“

Gysi attackiert Wagenknecht & Co.: „Völlige Emotionslosigkeit“ – taz.de

DIE LINKE kritisiert zurecht die Zustände in autokratischen Systemen; und in dieses System wollen wir die Ukrainer*innen zwingen; sie zwingen, sich dem System Putins zu unterwerfen? Nein. Solange sie sich dem widersetzen wollen, sollen sie dies aus meiner Sicht auch tun dürfen. Und einer Invasion einer nominell militärischen Übermacht begegnet man nicht mit guten Worten…

Realpolitik und politische Vision

Genau diese Dialektik beweist aus meiner Sicht die klaren Notwendigkeit einer politischen Linken und einer Position, wie sie sich DIE LINKE ins Grundsatzprogramm geschrieben hat.
Die weltpolitischen Lage ist angespannt – hierbei ist der Blick nicht nur auf Europa zu verengen; es sei an dieser Stelle z.B. einmal auf die imperialistischen Bestrebungen Chinas in Hongkong und Taiwan verwiesen. Insofern ist es dringend notwendig, dem eine Welt ohne Krieg als politisches Mittel, eine Welt in der Wettrüsten durch Abrüstung ersetzt wurde und in dem es ein Sicherheitssystem gibt, dass nicht auf geographische Blöcke sondern auf Friedenserhaltung ausgerichtet ist, als politische Vision entgegenzusetzen.
Gleichwohl ist es meiner Meinung nach keine Alternative, in den jetzigen Verhältnissen darauf zu beharren, sich so zu verhalten, als wäre man bereits in der Vision, der Utopie angekommen. Das Monster unterm Bett verschwindet nicht, indem man sich Augen und Ohren zuhält; ebenso wenig gilt das für das Monster im Kreml.