Auf einem Tisch stehen die Namensschilder aller Abgeordneten. Diese sind mit Weichzeichner unscharf gemacht.

Pragmatismus statt Praktikum – #kreistagebuch 2

Der Tunnel ist mal wieder dicht und ich fahre direkt von der ver.di Bezirksvorstandssitzung ins Kreishaus, um nicht die erste Sitzung des neuen Kreistags aufgrund im Stau zu verpassen. Zeit genug für einen Eintrag ins #kreistagebuch.

„Etwas schaffen, das bleibt“

Dieser Satz meines Großvaters auf die Frage nach einem Sinn im Leben blieb mir nach dem Wochenende noch ein wenig im Kopf kleben. Wenngleich es noch nicht die Frage danach beantwortet, was und warum das sein sollte, steckt doch darin, dass man etwas sinnvolles mit seiner Zeit anfangen sollte.

Das wiederum knüpft an meinen letzten Tagebucheintrag an. Wie produktiv ist es, wie sinnvoll ist es, wie viel bleibt von der Aussicht darauf, fünf Jahre als Einzelkämpfer die Weltrevolution zu fordern. Unbenommen: es ist verlocken, es hier und da für die Sache einmal rhetorisch scheppern zu lassen. Die Faschisten öffentlich zu verhöhnen, den Konservativen und Neoliberalen deren alternativlosen Weltbilds schlecht zu reden, alleine Anfragen und Anträge zu formulieren, um die Defizite im System für drei Minuten auf die Tagesordnung zu setzen.

Davon bleibt allerdings nichts. Niemand kann Sonntagsabends mit dem Bus nachhause fahren, weil einer dieser Bernds abends in sein braunes Kissen weint. Niemand bekommt einen wohnortnahen Hausarzt davon, dass einem dieser Friedrichs oder Christians Profitgier vorgeworfen wird. Niemand außer den 61 anderen wird Kenntnis davon nehmen, dass der Kreis im Bereich „Wohnraumförderung“ Geld einnimmt – weil alte Kredite an Mitarbeitende zurückgezahlt werden – anstatt dass endlich in bezahlbaren Wohnraum investiert wird.

Optionen abwägen und entscheiden

Davon ausgehend, dass ich nicht wie ein Praktikant nur zuschauen, sondern tatsächlich etwas mitarbeiten wollen würde, war gesetzt: Fraktion gründen oder beitreten.

Schließt man einmal die aufgrund der gegenseitig offenkundigen Gegensätze oder Antipathien Möglichkeiten aus, blieben drei Dinge in meiner Liste:

  • Die Klage gegen die Anhebung der Mindestfraktionsstärke abwarten und mit DIE PARTEI zusammenarbeiten
  • Bei der kommunalen Wählergemeinschaft anfragen
  • Mit der Fraktion der SPD zusammenarbeiten

Leider erreichte mich unlängst ein Rechtsgutachten auf informellen Kanälen, welches die Anhebung der Mindestfraktionsstärke als vermutlich verfassungskonform beschreibt. Wenngleich ist dies fundamental anders bewerte und ich mir auch nicht die Auffassung zu eigen mache, kleine Fraktionen würden den politischen Prozess behindern oder Abgeordnete, die es „gerade so“ in ein Parlament geschafft hätten, wären ungerecht gegenüber denjenigen, die mehr Stimmen bekommen hatten, so ist es dennoch ein zu hohes Risiko, auf diesen Prozess zu hoffen.

Auch die kommunale Wählgemeinschaft fiel für mich leider aus. Deren Listenplatz 1 kannte ich zwar bereits aus dem Regionalentwicklungsausschuss und diesen schätze ich auch als intelligent und ausgewogen ein. Für den Rest der „Truppe“ kann ich das leider nicht oder so nicht bewerten – dabei sei es an dieser Stelle auch belassen.

Blieb also die Zusammenarbeit mit – in diesem Fall der Beitritt zu – der SPD-Fraktion. Natürlich ist auch dieses Vorgehen mit Chancen und Risiken verbunden – naturgegebenermaßen für beide Parteien. Mit dem Beitritt tritt der Name DIE LINKE von der Bühne ab; für eine Sichtbarkeit würde ich also mit anderen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit sorgen müssen – wie z.B. diesem Blog. Und programmatische Unterschieden können (und werden sicher einmal) auch zu Reibung führen. Entscheidend ist aber, was hinten raus kommt: eine Stärkung der politischen Linken. Lieber fünf Jahre Pragmatismus und kleine Schritte in die richtige Richtung als Stillstand.

Konstituierende Sitzung nach Verkehrschaos

Da ich als Vertreter für die Kollegin aus Büdelsdorf zur Bezirksvorstandssitzung von ver.di eingeladen wurde, nahm ich mir den Freitag frei und fuhr morgens entspannt zu einem kleinen Landgasthof bei Husum. Die Sitzung verlief wie erwartet: gute Diskussionen, gute Verpflegung, gute Organisation.

Und einen zusätzliches Amt nahm ich mit nach Hause: ehrenamtlicher Richter am Arbeitsgericht. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort könnte man sagen.

Leider passte das nicht ganz für denjenigen, der im Rendsburger Kanaltunnel liegen geblieben ist und so gegen 15:00 Uhr einen „Verkehrsinfarkt“ in der kompletten Region ausgelöst hatte. Von der Bundesstraße heruntergeleitet brachte ich noch die Kollegin in Rendsburg nach Hause und hatte dann die Wahl, ob ich das Risiko einging, mit einem Zeitfenster von zwei Stunden noch einmal nach Hause zu fahren, die Kleidung und das Gefährt zu wechseln und zurückzufahren oder ich auf „Nummer sicher“ gehe und direkt – viel zu früh – ins Kreishaus fuhr.

Die Einleitung, welche ich schon gestern schrieb, gibt den Hinweis: Nummer sicher. So konnte ich mitverfolgen, wie die Techniker Licht und Mikrofonanlage einstellten, die Mitarbeitenden des Kreises die Vorbereitungen für die Sitzung trafen und sich der Raum poe á poe mit Abgeordneten füllt.

Wirkliche Überraschungen gab es jedoch in der ersten Sitzung nicht. Über die Wahlen zum Kreistagspräsidium kann die Lokalpresse spannendere Worte finden als ich: CDU, SPD, Grüne und SSW stellen in dieser Reihenfolge die Kreistagspräsident*innen. Im nicht öffentlichen Teil mussten Beschlüsse zur Ausgestaltung des Verkaufs der Imland gefasst werden; hier wird jedoch lediglich über das Lied entschieden, dass der Chor auf der Beerdigung des Modells „kommunale Klinik“ singt – eine vielleicht rettende Notoperation hatten CDU und FDP in der letzten Legislatur verhindert.

Interessant anzumerken ist lediglich, dass der Kollege von DIE PARTEI angewiesen wurde, seinen „FCK AFD“-Button abzulegen – hier bin ich auf die Kreativität in den kommenden Sitzungen besonders gespannt. Sicherlich wird er eine legale Möglichkeit finden, seine berechtige Abneigung darzustellen.

Kurzum: es bleibt spannend. Stay tuned.

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