Keinen Posten für braune Pfosten – #kreistagebuch 3

Die zweite Kreistagssitzung ist vorbei – wahrscheinlich wird sie mit 5 Stunden eine der längeren bleiben. Warum sie so lange war und warum es eine Selbstverständlichkeit ist, dass Rechtsextremisten keinen Ausschussvorsitz bekommen, schreibe ich in mein #kreistagebuch

Sommer, Sonne, Kraftklub

Politisch ist seit der ersten Sitzung des Kreistages nicht wirklich viel berichtenswertes passiert – insofern gab es auch keine neuen Einträge. Dass Wetter meinte es gut mit uns – die (Nicht-)Urlaubsplanung leider nicht: Arbeiten in mäßig gelüfteten Technikräumen mit Hardware, die zusätzliche Wärme abstrahlt, ist bei steigenden Außentemperaturen ein Vergnügen der besonderen Art.

Lichtblick: das KraftklubOpenAir in Köln. Der Abend am Fühlinger See mit 18.000 anderen Menschen und einer der – zumindest aus meiner Sicht – besten deutschen Bands unserer Zeit lässt einen sogar die Eskapaden mit der Deutschen Bahn (Verspätungen, defekte Waggons, gefährdete Umstiege – sogar ein Nothalt auf freier Strecke auf dem Heimweg, weil jemand unbedingt in der Toilette rauchen musste) vergessen.

Tag 1 nach dem Wochenendtrip – Sitzungstag

Direkt am Montag folgte – die 7-stündige Rückfahrt aus Köln noch in den sprichwörtlichen Knochen – die Kreistagssitzung. Die Tagesordnung versprach eine längere Sitzung: die Besetzung der Ausschüsse und weiterer Posten stand auf dem Zettel. In den Fraktionen waren die jeweils eigenen Besetzungsvorschläge vorab besprochen (dass ich im Regionalentwicklungsausschuss bleiben würde, war vorbehaltlich der Abstimmung in trockenen Tüchern), sodass es am Ende eher ein solider Abstimmungsmarathon als ein zum Mitfiebern einladender Wahlsprint hätte werden können.

Können. Für die Brisanz des Abends sorgte in der Folge die frisch gebildete Fraktionsgemeinschaft der kommunalen Wählervereinigung „WGK“ und der Verschwörungserzähler*innen-Partei „Die Basis“. Deren Fraktionsvorsitzender hatte – als Reaktion darauf, dass die Positionen einzeln gewählt werden sollten – auf eine geheime Wahl für die für die jeweiligen Ausschussvorsitze (und deren Stellvertretungen) bestanden. Ein Antrag, der mutmaßlich vertuschen sollte, was dann später allen Anwesenden klar wurde: Die drei hatten nicht den Schneid, ihre Stimmen in offener Abstimmung den Vertretern einer rechtsextremen und in Teilen faschistischen Partei zu geben und wollten das im Schutze einer Wahlkabine tun.

Und mehr noch: nach den ersten Wahlgängen – nachdem klar wurde, wie zeitaufwendig eine geheime Wahl durch circa 60 Personen aufgerufen sortiert nach Fraktionen und Namen ist – wurde einmal durch die Kreistagspräsidentin gefragt, ob weiterhin auf geheimer Abstimmung bestanden wird. Die Antwort war ein infamer Kuhandel: Würde auf die Einzelwahl der Positionen verzichtet – und somit sichergestellt, dass im Blockwahlverfahren auch den Vertretern der sogenannten AfD ein Ausschussvorsitz anvertraut würde – könne man ja wieder offen abstimmen.

Ich muss hier einmal sagen: Ich hatte im Regionalentwicklungsausschuss lange Zeit von Herrn Dr. Höpken eine gute Meinung. Ein wenig exzentrisch vielleicht – aber wem möchte ausgerechnet ich das vorwerfen – und in der Sache vielleicht ab und zu anderer Meinung; stets jedoch respektvoll und intelligent. Insofern war ich ob dieser Strategie, die nicht einmal versucht zu verdecken, was die unmoralische Absicht ist, durchaus „not amused“.

„Alle meine Termine absagen…“ – ab hier ging’s ums Prinzip

Und so wählten alle Abgeordneten – Runde für Runde – die Ausschussvorsitzenden, deren erste und deren zweite Stellvertretungen in geheimer Wahl. Wir ließen die Schrittzähler rennen; der Aufruf durch die Sitzungsleitung wurde zunehmend unwichtiger – nach der fünften von insgesamt 23 Abstimmungen wusste man spätestens, wann man selbst dran ist und wer gleich an einem vorbeizieht. Zuhause warteten Kinder auf Ihre Elternteile, Menschen auf Ihre Partnerinnen und Partner, Haustiere auf die abendliche Fürsorge durch ihre humanoiden Dosenöffner.

Ich kann jeden und jede aus vollem Herzen verstehen, der oder die entnervt war. Aber ab dem Moment, an dem versucht wurde, uns mit einer „Vereinfachung“ des Verfahrens die Wahl von Antidemokraten abzuringen, konnte ich das mit dem notwendigen Galgenhumor hinnehmen: Kein Fußbreit den Faschisten – ein Fußmarsch gegen die Steigbügelhalter.

Und es hatte auch Gutes: die Mitglieder der demokratischen Parteien kamen parteiübergreifend ins Gespräch, machten Scherze mit- und übereinander (z.B. wenn jemand schon wieder schnell vorbei huschte, um vor dem Aufruf an der Tür zur Wahlkabine zu sein) und bildeten eine Schicksalsgemeinschaft für diesen Abend.

Im Ergebnis hatten die vorgeschlagenen Kandidierenden der AfD dann 8 Stimmen – 5 eigene und (mutmaßlich) 3 der Fraktion von WGK/BASIS. Bei der aktuellen Zusammensetzung der WGK-Fraktion und deren persönlicher Geschichte vielleicht kein Wunder, wenngleich enttäuschend. Dafür sind die über 50 Gegenstimmen in jedem Wahlgang ein Fanal für den Zusammenhalt der demokratischen Parteien im Kreistag.

„Demokratisch gewählt“ ist nicht gleich „Demokrat“

Natürlich versuchten sich diejenigen, die sich selbst in die rechte Ecke gesetzt hatten, ins richtige Licht und die Opferrolle zu bringen. „Zur Recht?“, fragen vielleicht einige. Nein!

Diese Menschen sind Vertreter einer Partei, die regelmäßig Kunst- und Kulturschaffende dem Mob vorwirft, und ein Denunziationsportal für Lehrkräfte veröffentlicht hat. Diese Menschen sind Vertreter einer Partei, die sich regelmäßig durch rassistische, klassistische und queerfeindliche Hetze hervortut. Diese Menschen haben in der letzten Legislatur wahlweise durch Abwesenheit (war schön) oder unqualifizierte Kommentare (war weniger schön) „geglänzt“.

Der Ausschuss für Schule, Sport, Kultur und Bildung im größten Flächenkreis dieses Bundeslandes, die vielen Kulturschaffenden und -begeisterten, die berufsbildenden Schulen und die Sportvereine sind es wert, von uns ernstgenommen und wertgeschätzt zu werden.
Die Pandemie hat die Kultur und viele Sportvereine in der Fläche hart getroffen und brauchen Unterstützung. Der Fachkräftemangel rollt auf uns zu und wir brauchen eine Reform der beruflichen Bildung.

Es wäre schlichtweg unverantwortlich, diese Organisation und Gestaltung dieser Aufgaben maßgeblich in die Hände von jemandem zu legen, der dieses Amt für die eigenen undemokratischen Ziele missbrauchen würde. Es ist richtig – und im übrigen auch demokratisch – jemanden, von dem man dies annehmen kann und muss, nicht zu wählen.

Da war ja noch was…

Ich möchte diesen Eintrag nicht schließen, ohne noch einmal die Leistung der Mitarbeitenden der Kreisverwaltung lobend hervorzuheben. Wir Politiker*innen waren ja „wahnsinnig“ genug und haben uns für diesen Job freiwillig gemeldet. Die Mitarbeitenden des Kreises waren aufgrund ihres Berufes – vielleicht auch einige aus Berufung – dort. Sie haben die Versorgung mit Getränken, die Protokollierung der Sitzung, die Vorbereitung der Stimmzettel, die Ausgabe von Transpondern und vieles (was mir sicher teilweise auch entgangen ist) weiteres bis zum Abschluss der Sitzung um 22:00 Uhr sichergestellt. Vielen Dank dafür!