Ein Beitrag zum Verhandlungsergebnis der Tarifrunde TVöD 2025 – und warum ich jedem empfehle, das Ergebnis abzulehnen
Vorwort
Mir ist wichtig deutlich zu machen, dass ich nicht die Verhandelnden oder das Ergebnis kritisiere, dass Sie erreicht haben. Wohl aber kritisiere ich die Schlüsse und den Umgang mit diesem Ergebnis und die dafür verantwortlichen Personen. Das tue ich nicht, weil ich glaube, dass ausgerechnet meine Meinung die wichtigste oder richtigste ist, sondern weil ich überzeugt bin, dass zu einer Debatte auch Beiträge notwendig sind, die widersprechen und eine andere Sicht auf ein solches Ergebnis darstellen.
Heute machen wir einen Ausflug
Ich bilde mir ein, bei dieser Tarifrunde relativ nah am „Puls der Zeit“ zu sein – soweit das möglich ist für jemanden, der vor allem auf der lokalen Ebene im Betrieb und im Bezirk unterwegs ist. Behelfsweise maße ich mir dennoch eine Meinung an – du musst sie ja nicht teilen. Arbeitsstreik, Organizing, Warnstreiks, aktive Mittagspause – es war schon einiges los bei uns. Und trotz aller Müdigkeit und allen gefahrenen Kilometern zu abendlichen Sitzungen sind es vor allem die positiven Eindrücke, die bleiben werden.
Als Highlight wird wahrscheinlich die Erinnerung bleiben, wie die IT-Kollegen und ich in Kiel von der Bühne auf ca. 6.000 Menschen schauen konnten – und alles, was wir dafür getan hatten, war vier Tage nicht zur Arbeit zu gehen.
Und heute sitze ich hier und schreibe diesen Text – einerseits, um der Werbemaschinerie für die empfohlene Annahme dieses Ergebnisses etwas entgegenzusetzen. Andererseits, weil ich mit Kolleg*innen im Rahmen der Mitgliederbefragung einigermaßen neutral sprechen können will – und dafür erst einmal meiner Frustration Ausdruck verleihen muss.
Entscheidend ist, was hinten raus kommt – wenn denn nur mal was raus käme…
Nur um ein Gefühl zu bekommen: Hinter uns liegen Jahre der hohen Inflation (6,9% in 2022 und 5,9% in 2023), die sich schon im letzten Tarifergebnis nicht ansatzweise widergespiegelt hat. Das konnte zwar die sogenannte Inflationsausgleichsprämie für den Augenblick auffangen – dauerhaft spüren wir aber noch heute, dass die Krisen der letzten Jahre eine Lücke in den Portemonnaies der meisten Menschen hinterlassen haben. Und auch wenn die Inflation 2024 bei nur noch 2,3% gelegen hat und die Preise für Luxusgüter und langfristige Anschaffungen weniger stark gestiegen sind – die Preise für Konsumgüter (Essen, Trinken, Heizen, Wohnen) steigen fröhlich auf immer neue Höchstwerte. Schade, dass unsere Kolleg*innen häufiger Brot, Wurst und Käse kaufen als einen neuen Fernseher…
Vor diesem Hintergrund erscheint es natürlich um so zynischer, was nun monetär als zur Annahme empfohlen wird:
- Ab dem 01.04.2025 3 % Erhöhung und 110 Euro Mindestbetrag (der erste von zwei Lichtblicken!)
- Ab dem 01.05.2026 weitere 2,8% ohne Mindestbetrag (da ist er dahin, der erste Lichtblick! Da waren die Kolleg*innen in den unteren Entgeltgruppen wohl nicht mehr so relevant)
- Erhöhung der Schicht- und Wechselschichtzulagen (der andere Lichtblick!)
- Zwei mal 75 Euro mehr für die Auszubildenden (auch zum 01.04.2025 und zum 01.05.2026)
Ab hier könnte man eigentlich Schluss machen und sagen: „Okay – das ist deutlich unter unserer Forderung, finden wir nicht gut“ oder „Joa – das ist jetzt nicht prickelnd, aber okay“. Alles legitim. Alles gut. Aber jetzt aufgemerkt: Kinder und Jugendliche weg vom Internet, zart besaitete Personen hinter der Triggerwarnung verstecken, denn: Ich bin nicht einmal frustriert wegen des Geldes. Ich bin frustriert werden allem anderen:
Schwarzbuch Tarifeinigung – es ist nicht zu wenig, es ist schlicht ungerecht
Kapitel 1: Nullrunde
Aufmerksamen Lesenden wird aufgefallen sein: da oben steht 01.04.2025. Was ist also mit Januar, Februar und März? Tja: Gar nix! Die Arbeitgeberseite hat mit ihrer Arbeitsverweigerung und Verzögerungstaktik die Verhandlungen bewusst in die Länge gezogen und werden nun damit belohnt, dass Sie erst ab dem Abschluss bezahlen müssen. Wenn Kolleg*innen landauf landab mit verschränkten Armen zur Arbeit kämen und nichts täten – ob sie da eine Belohnung erwarten würde? Ich bezweifle es stark.
Kapitel 2: Laufzeit
Donald Trump ist gerade einmal drei Monate im Amt und hat, den Welthandel, die weltweiten Aktienmärkte und die europäische Sicherheitsarchitektur völlig ins Wanken gebracht. Vier Monate hat es gedauert, bis sich aus der ersten nachgewiesenen Infektion mit dem neuartigen Covid-Virus eine Pandemie entwickelt hat. Aktuell steht eine Regierung in den Startlöchern, die zum Frontalangriff auf die Arbeitnehmer*innen bläst: die Tageshöchstarbeitszeit ist schon geopfert, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall kann folgen. Long story short: Man kann ohne Übertreibung sagen: Die Welt ist so unsicher, wie seit der dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr.
Wie kann man unter diesen Vorzeichen davon ausgehen, dass 27 Monate eine erträgliche oder gar keine annehmbare Laufzeit für einen Tarifvertrag sei? Ich denke mehr muss dazu nicht gesagt werden.
Kapitel 3: Übernahme der Auszubildenden
Halten wir fest: Ich bin natürlich für eine Übernahmegarantie für Auszubildende. Wer sich für den öffentlichen Dienst entscheidet, sollte das auch ohne Sorgen tun können. Das was hier im Einigungspapier steht, ist jedoch keine Garantie, sondern eine Einladung für Gutdünken und eine optionale Rückkehr zum Radikalenerlass, der in den 70ern Linke aus dem Staatsdienst fernhalten sollte.
Im Einigungspapier steht als Voraussetzung:
- dass mindestens die Gesamtnote „Befriedigend“ vorliegen muss
- dass es einen dienstlichem bzw. betrieblichem Bedarf geben muss
- dass es eine freie und besetzbare Stelle bzw. einen freien und zu besetzender Arbeitsplatz geben muss
- dass keine personen-, verhaltens-, betriebsbedingten oder gesetzlichen Gründe entgegenstehen dürfen
- dass kein Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bestehen dürfen
Übersetzt steht da: „Wir übernehmen alle guten Auszubildenden, wenn wir sie brauchen, es eine freie Stelle gibt und sie sich immer (nach unseren Maßstäben) gut benommen haben.“
Der öffentliche Dienst läuft mit seiner Altersstruktur und Kultur in eine ernstzunehmende und leider vollkommen absehbare Krise. Sobald die älteren Kolleg*innen in Rente gehen, wird es sehr schnell ruhig in deutschen Amtsstuben. Die Arbeitgeber haben das aber noch nicht erkannt – und wir sollten ihnen in diesem Fall auch nicht dabei helfen. Es werden Zeiten kommen, da werden wir froh sein, noch diejenigen, die gerade so ihre Ausbildung geschafft haben, halten zu können.
Kapitel 4: Meine Zeit? Deine Zeit? Keine Zeit? Wer hat, dem wird gegeben!
Die Forderungsdiskussion startete letztes Jahr mit einer Umfrage, die ausloten sollte, welche Themen den Mitgliedern besonders wichtig sind. Ob die Umfrage in der Form nun das Thema Arbeitszeit absichtlich oder unabsichtlich in den Fokus genommen hat, kann ich nicht bewerten. Im Kern kam jedoch heraus: Der Fokus soll vor allem auf Arbeitszeitfragen gelegt werden. Mehr Urlaub, primär – und das war vielen von uns sehr wichtig – für Mitglieder; für diejenigen, die sie nämlich auch erstreiten. Mehr Zeitsouveränität. Weniger Wochenarbeitszeit.
Diese Ziele wurden nicht nur nicht erreicht, sie wurden konterkariert. Kein Mitgliederbonus, keine Reduzierung der Wochenarbeitszeit – im Gegenteil. Mitarbeitende dürfen jetzt bis zu 42 Stunden die Woche arbeiten, ganz freiwillig versteht sich. Nur dass es eben im Arbeitsverhältnis keine Freiwilligkeit gibt. Genauso wenig hat man freiwillig ein Bankkonto, wohnt freiwillig in einer Mietwohnung, kauft freiwillig Lebensmittel. Freiwilligkeit setzt Beziehungen auf Augenhöhe voraus – die sind in der Arbeitswelt jedoch nicht gegeben.
Aber die Beamt*innen arbeiten doch auch 42 Stunden die Woche – sagen da einige. Ja, das stimmt. Aber Beamt*innen sind auch sehr viel besser vor vielen Eventualitäten und Widrigkeiten geschützt und müssen nicht fürchten, mit 68 in die Altersarmut zu fallen. Insofern: Was ist das für ein Vergleich?
Wie Hohn wirkt dann das „freundliche“ Angebot, die Jahressonderzahlung gegen bis zu drei freie Tage einzutauschen. Dafür wird die Jahressonderzahlung sogar freundlicherweise angehoben, sogar auf einheitlich 85%. Aber hey, Moment mal: die Jahressonderzahlung ist doch aktuell für die niedrigen Entgeltgruppen prozentual viel höher als für die Höheren, oder? Korrekt! Bei der Anhebung auf 85% gibt es
- 5,49 % Erhöhung bis zur EG 8
- 14,72 % Erhöhung von EGen 9 bis 12
- 33,22 % Erhöhung für die EGen 13 bis 15
Plakativ gesagt: Diejenigen in den Teppichetagen erhalten die Möglichkeit, sich drei freie Tage zu erkaufen und ein deutliches Plus beim Weihnachtsgeld. Diejenigen, die die Teppiche nur vom Staubsaugen kennen sind froh, wenn sie mit den „großzügigen“ 5% mehr ein Geschenk für alle beide Kinder kaufen können. Dafür setzt man sich als Gewerkschafter doch gerne ein, oder?
Da ist es dann nur ein kleines Trostpflaster, dass zum Ende der Laufzeit ein freier Tag angekündigt wird. Das Licht am Ende des Tunnels kann immerhin auch ein Zug sein.
Kapitel 5: Kleinvieh macht auch Mist
Es gibt noch viele weitere „kleinere“ Themen, die es sich lohnen würde, auszuführen. Beim Kündigungsschutz im Gebiet der ehemaligen DDR verbleibt es beim Appell des Herrn Koch an die Arbeitgeber, dass doch bitte zu machen (wie er das wohl in Hessen umgesetzt hätte?). Der Rettungsdienst wird nicht gerettet, sondern muss weiterhin unter prekären Bedingungen täglich alles für das (Über)leben der Gesellschaft geben – Klatschen reicht auch hier anscheinend ja aus. Die Einrichtung von Langzeitkonten ist möglich, da wird sicher auch die ein oder andere der (un)freiwilligen „Bis zu 42-Stunden in der Woche“-Bonusstunden landen.
Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.
Oder: Warum mir ehrliche Kommunikation am meisten fehlt
Ja, ich habe wirklich nicht viel übrig für das Tarifergebnis. Aber das ist nicht mein Hauptproblem. Es geht mir viel mehr um den Umgang der Gewerkschaftsführung mit dem Ergebnis und dessen Kommunikation – insbesondere in die Mitgliedschaft.
Es fängt beispielhaft damit an, dass die Videokonferenz für die Arbeitskampfleitungen und Tarifbotschafter*innen erst vom Samstagabend auf Sonntagmorgen verlegt und dann am Sonntagmorgen mehrfach verschoben wird. Und dann erfährt man von der Einigung durch ein „Insta live“, bei der die eigenen Leute neben den Vertretern der Arbeitgeber stehen, zusammen eine Pressekonferenz geben und Einigkeit suggerieren. Dann brauche ich auch die Videokonferenz nicht mehr…
Im Übrigen ist diese Einigkeit auch deswegen problematisch, weil die gleichen Personen mit dem Ergebnis der Schlichtungskommission unzufrieden waren und sich dies nun binnen einer Woche diametral geändert zu haben scheint.
Aber das ist nicht ausschlaggebend für meine Kritik. Viel schlimmer finde ich, dass die gesamte Maschinerie, die ich als Mitglied mitfinanziere, aktuell läuft, um das Ergebnisses zu präsentieren. Jeder Post in den sozialen Medien, jede kurz zusammengefasste Veröffentlichung im DIN A4-Format, jede E-Mail an die Mitglieder hebt die vermeintlichen Vorteile hervor. Von den Nachteilen und Ungerechtigkeiten dieses Abschlusses, von den damit verbundenen Risiken, die ich oben genannt habe, steht dort kein Wort. Und ich unterstelle: Es ist nicht Folge der Vereinfachung von Sachverhalten, es ist so intendiert. Der Ritt auf der Messerklinge ist gefährlich: Wo hört Information auf, wo fängt Beeinflussung an?
Was ich mir wünschen würde
Die Ansage der Führung: „Das ist das Ergebnis, aber wir sollten es annehmen, weil XYZ“ oder „Das ist das Ergebnis und wir wissen nicht, ob es besser wird – egal ob wir 4, 8 oder 20 Wochen Arbeitskampf haben. Entscheidet, was ihr wollt.“ wäre ehrlich. Selbst wenn man das Ergebnis wirklich gut fände (auch wenn ich mich frage an wie viel lodernd brennenden Hanfplantagen man dafür vorbeigelaufen sein muss) könnte man sagen: „Hier ist das Ergebnis, wir finden es super, weil XYZ, aber es ist auch schlecht/riskant, weil ABC“.
All das passiert nicht. Und das ist ein Problem, über das wir – so finde ich – mehr ins Gespräch gehen sollten.
Quo vadis, Gewerkschaften? Quo vadis, Arbeiterinnen und Arbeiter?
oder: ich will nicht, dass die Gewerkschaften es der Sozialdemokratie gleichtun
Wohin gehst du? Wohin soll das führen? Das frage ich mich nach dieser Tarifrunde besonders. Die Arbeitgeber – egal ob Bund oder VKA, aber besonders die VKA sind mit einer Respektlosigkeit und Dreistigkeit in die Verhandlungen gegangen, die für sich schon ein Statement ist.
Die VKA (vor allem die KAVen in Ostdeutschland) wollten das Gehalt gar anheben und diese Nullrunde noch auf drei Jahre festschreiben. Zu den ersten beiden Verhandlungsrunden kamen die Arbeitgeber so unvorbereitet, dass es an Arbeitsverweigerung grenzt – kein Angebot, keine Ansätze zu den Forderungen, die bereits seit Monaten öffentlich bekannt waren. Dass man dann in der letzten Verhandlungsrunde nach einem Tag effektiver Gespräche die Schlichtung anruft, wirkt billig und abgekartet. Vor allem dann, wenn man bereits am Anfang der Tarifrunde seinen Schlichter benennt (Roland Koch) und dieser eher für jeden informierten Gewerkschafter bedeutet, dass die Arbeitgeber Feuer mit Benzin löschen wollen.
Warum können diese Leute also kollektiv so respektlos mit uns – mit ihren Beschäftigten – umgehen? Es ist ganz klar: Es ist unsere eigene Schwäche.
Zu wenige Menschen engagieren sich leider noch in Gewerkschaften. Aus Erzählungen derjenigen, die heute zu den Senior*innen zählen weiß man: Es gab einmal bessere Zeiten. Zeiten, in denen die Leute eingetreten sind, weil es Tradition in der Familie war. Zeiten, in denen Leute sich solidarisiert haben, wenn anderen Unrecht getan wurde und man das über die Gewerkschaft tat. Zeiten, in denen in hochorganisieren Betrieben Menschen eingetreten sind, weil sie dazu gehören wollten. Ja, diese Zeiten sind leider vorbei. Heute diskutiert man mit Leuten, die drei verschiedene Streaminganbieter abonniert haben darüber, ob 1% ein gerechtfertigter Beitrag sei. Aber leider auch mit Menschen, die gerechtfertigte Angst vor dem Druck haben, den der Vorgesetzte Ihnen Druck macht, wenn sie beitreten und/oder streiken gehen. Ja, wir sind zu wenige – vor allem in der Fläche.
Und dann gibt es diejenigen, die sich in Vereinen organisieren, die in der ganzen Tarifrunde einmal einen Tag zum Warnstreik aufgerufen haben. Da weiß man ja auch, dass der (zugegeben geringere) Mitgliedsbeitrag gut im jährlichen Grünkohl- oder Spanferkelessen angelegt ist – die Streikkasse wird ja faktisch nicht gebraucht.
Wir müssen mehr werden, vor allem auf der Straße. Das ist mir bewusst.
Ich sehe jedoch einen Arbeitskampf auch als Chance dafür, diesen Umstand zu verbessern. Welches Statement hätte es, wenn man als Gewerkschaft sagt: „Ja, wir wissen nicht, was raus kommt. Aber hier wird der Schlussstrich gezogen – hier ist eine Linie überschritten, die wir nicht mitgehen können“. In einer Welt, in der zu viele Dinge ungerecht ist und sich gegen die Beschäftigten, gegen die Bürgerinnen und Bürger, gegen die Menschen richtet, kann diese Art von Rückgrat inspirierend sein.
Und diese Art von Rückgrat wünsche ich mir – vor allem weil wir sie dringender brauchen denn je. Denn die Zeiten werden rauer und wir werden als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einander brauchen, um nicht schutzlos ausgeliefert zu sein.
Als Linker habe ich einiges an Kritik für die Sozialdemokratie. Ich schätze die Zusammenarbeit auf örtlicher Ebene mit ihnen sehr und ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft die Sozialdemokratie als Aufhänger für progressive Politik in vielen Schichten der Bevölkerung braucht. Genau darum wird mir jedoch angst und bange bei den Parallelen, die mir zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften auffallen. Beide machen Kompromiss um Kompromiss – teils aus der eigenen Schwäche heraus, teils aus „staatspolitischer Verantwortung“. Aber um welchen Preis?
Macht es einen Unterschied, ob man von Herrn Merz oder Frau Faeser und Frau Welge demütigen lassen muss?
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Satz „Es hat keinen Sinn eine Mehrheit für die Sozialdemokraten zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Sozialdemokrat mehr zu sein.“ und dem Satz „Es hat keinen Sinn einen Tarifabschluss zu erringen, wenn der Preis dafür ist, kein Gewerkschafter mehr zu sein.“?Mit jedem Kompromiss, der die eigene Klientel so vor den Kopf stößt, geht ein Vertrauensverlust einher. Jeder Vertrauensverlust birgt das Risiko, nicht mehr gebraucht zu werden.
Für die SPD müssen deren Mitglieder aktuell dieses Risiko einschätzen, daher behalte ich meine Meinung hier für mich.
Für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft wünsche ich mir jedoch eine Zukunft, in der wir nicht Bittsteller, sondern Druckmacher sind. In der wir nicht die To-Do-Listen der Arbeitgeber in den Tarifvertrag diktiert, sondern wir unsere To-Do-Liste abgehakt bekommen. In der bei den Pressekonferenzen die Arbeitgeber nicht dastehen, und von einem guten Tarifergebnis faseln, sondern unser Team das tun kann.
Der Weg dahin ist steinig, schmerzhaft und teuer. Er wird uns Ressourcen kosten – personelle, finanzielle und ideelle. Aber ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt. Denn – trotz alledem stimmt weiterhin: wir haben nichts zu verlieren als unsere Ketten. Wir haben eine Welt zu gewinnen.
Lasst uns heute damit anfangen. Stimmt mit „Nein“ zum Tarifergebnis!