Artikel 140 unserer Verfassung legt fest: »Es besteht keine Staatskirche.« Dennoch überweisen die Länder den Kirchen jedes Jahr mehr als 500 Millionen Euro aus Steuermitteln, die »Kirchensteuer« – die der Staat unentgeltlich als Dienstleistung für die Kirchen eintreibt – kommen noch dazu. Kirchenvertreter (ohne *innen) sitzen in Rundfunkbeiräten und für Kirchen gelten weiterhin Sonderrechte, die unser Rechte- und Wertesystem unterminieren.
Ich frage bewusst »ketzerisch«: Ist das noch säkular, oder kann das weg?
1803 – Ein gutes Jahr zum »Kohle scheffeln«
Blick in die Geschichte: Im Europa des 19. Jahrhunderts war eine lange Phase des politischen Umbruchs abgeschlossen. So war es dazu gekommen, dass der Klerus sein Recht zur Ausübung politischer Macht verlor; damit einher ging auch die Enteignung von Land und Gütern. Ähnlich, wie es auch der sogenannte Adel heute noch für sich reklamiert, sehen auch die Kirchen dies als historisches Unrecht. Zur Einordnung sollte jedoch die Frage gestellt werden, ob die jeweiligen (Kirchen-)Fürsten oder die Arbeiter*innen diesen Reichtum erarbeitet haben? Diese »Enteignungen« – besser Rückführungen – werden seitdem jährlich mit Zahlungen durch den deutschen Staat (als Rechtsnachfolger des davor zahlungsverpflichteten Deutschen Reiches) kompensiert; sie liegen derzeit bei circa 540 Millionen Euro. Expert*innen der »Humanistischen Union« schätzen, dass seit der Gründung der BRD knapp 18 Milliarden Euro gezahlt worden seien. Kurz festgehalten: dieses Geld wird aus Steuermitteln finanziert, die die Gemeinschaft aufbringt, unabhängig davon, ob Christ*in, Jüd*in, Muslim*a, Atheist*in, Agnostiker*in oder Anhänger*in des »Fliegenden Spagetti-Monsters«!
Damit nicht genug. Gleichzeitig übernimmt der deutsche Staat mit seiner bestehenden Infrastruktur den Einzug der Mitgliedsbeiträge der christlichen Kirchen – und zwar auch exklusiv nur für diese – in Form der sogenannten »Kirchensteuer«. Eine Dienstleistung, zu der die Kirchen nichts beitragen und die keiner anderen gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland offensteht. Gewerkschaften, Parteien, gemeinnützige Vereine und viele andere, die wesentlich mehr zum demokratischen Miteinander beitragen, müssen die Abwicklung der Zahlungen durch die Mitglieder selbst organisieren und finanzieren. Hinzu kommt, dass der Staat – ganz im Sinne der Kirchen – den Austritt aus der Kirche umständlich und dazu auch noch kostspielig macht.
Frisch vermählt, halb entlassen – Will Gott das?
Ich lade euch ein, Christiane kennen zu lernen. Christiane ist 32, hat zwei Kinder, ist Erzieherin und hat sich nach 14 Jahren Ehe von ihrer Jugendliebe scheiden lassen. Christiane lernt jemanden Neues kennen und sie heiratet erneut. Glück für Christiane? Statt Glückwünschen von den Kolleginnen bekommt sie die Kündigung von der KiTa-Leitung. Pech für Christiane – Pech, dass sie in einer konfessionellen KiTa arbeitet.
Die Kirche tritt als »ganz normaler Arbeitgeber« auf, normal ist meist jedoch nur, dass Lohnarbeit in diesem Falle ein Ausbeutungsverhältnis bedeutet. Das Beispiel von Christiane ist vielleicht fiktiv, es entspringt jedoch nicht der Fantasie eines gelangweilten Autors im Shutdown, sondern realen Fällen vor deutschen Arbeitsgerichten. Die Kirche nimmt sich das Recht heraus, die eigene Moralvorstellung auf das Privatleben der Mitarbeitenden anzuwenden. Wenn das nicht passt, folgen Repressionen, wird gekündigt. Geschieden und neu verheiratet: Kündigung. Am Streik teilgenommen: Kündigung. Offen homosexuell: Kündigung. Das Bemerkenswerte hieran ist nicht nur die Unverfrorenheit, sondern die Konsequenz. Arbeitgeber, die die Ausübung von (grund-)gesetzlich garantierte Freiheiten beschränken und in das Privatleben der Mitarbeiter*innen eingreifen, sind das eine. Das andere ist ein Staat, der zulässt, dass für Mitarbeiter*innen der Kirchen und kirchennaher Organisationen eine andere, eine rückständige und menschenverachtende Rechtsordnung gilt.
Interessant obendrein: die Kirche ist zwar Träger der ehemaligen KiTa von Christiane; finanziert wird die Einrichtung jedoch maßgeblich von den Beiträgen der – nicht zwangsläufig gläubigen Eltern – und den Zuschüssen der Gemeinde. Wieder einmal Geld des Staates also.
Welche Gesellschaft soll das repräsentieren?
Die Kirchen nehmen darüber hinaus in vielen weiteren Gremien Plätze eine Rolle ein, die Ihnen Mitspracherechte zugesteht, die – zumindest mit Blick auf die tatsächliche gesellschaftliche Relevanz – ungerechtfertigt erscheinen. Im Rahmen der Recherche für diese Ausgabe stießen wir auch auf die Repräsentanz der Kirchen in den Rundfunk- beziehungsweise dem ZDF-Fernsehrat. Diese Räte sind die jeweils obersten Instanzen der für die Programmkontrolle zuständigen Aufsichtsgremien. Zwar beraten sie lediglich die jeweiligen Intendanten des ÖRRs, gleichwohl sollen sie auch die Vielfalt und die Offenheit des Zugangs zum Programm für verschiedene gesellschaftlich relevante Gruppen überwachen. Dennoch werden die christlichen Kirchen hier erneut bevorzugt. Muslime, Atheisten oder Agnostiker haben keine Sitze in den jeweiligen Gremien. Auch auf die Live-Übertragung eines Gottesdienstes einer nicht-christlichen Glaubensgemeinschaft im Fernsehen wartet man bisher vergeblich.
Schlussendlich treten auch immer mehr Menschen aus der Kirche aus, ohne ihren Glauben abzulegen. Diese Menschen, die an einen Gott glauben, aber aus verschiedenen Gründen mit der Institution Kirche nichts (mehr) zu tun haben wollen, wird eine Repräsentanz ebenso verweigert.
Moment nochmal: Was ist mit den Millionen?!
Ja, die Millionen. Tatsächlich hatte wohl niemand im Deutschen Reich gedacht, dass die Regelung, die auf die »Enteignung« der Kirchen im Jahre 1803 zurückgeht, noch so lange Bestand haben würde. Es gibt Jurist*innen, die die Auffassung vertreten, dass der ursprüngliche Gedanke, diese Ausgleichszahlungen kurz- oder mittelfristig anzulegen, um den Kirchen wieder »auf die Beine zu helfen« inzwischen überholt ist und man die Zahlungen – da der Grund weggefallen ist – auch einstellen könne. Die Kirchen haben jedoch bereits angekündigt, unter keinen Umständen auf ihren »rechtmäßigen« Anspruch zu verzichten, sodass in jedem Falle langwierige Prozesse drohen, deren Ausgang ungewiss und für die Steuerzahler*innen mit Risiken behaftet ist.
Unter anderem deswegen haben Politiker*innen von DIE LINKE, zusammen mit Politiker*innen der Grünen und der FDP, Anfang 2020 einen Vorschlag vorgelegt, der insgesamt die äußerst hohe Summe von 21 Milliarden Euro vorsieht und nach 20 Jahren ein Ende der Staatszahlungen besiegeln würde. CDU und SPD wollen diese Thematik lieber nicht anpacken.
Das ist viel Geld und so manche und so mancher wird – vor allem mit Blick auf das allgemeine Gebaren so einiger Kirchenvertreter – die Faust in der Tasche ballen allein beim Gedanken daran. Trotzdem: Es wäre nach absehbarer Zeit endgültig Schluss damit, dass Geld an diese Institutionen fließt.